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© 2006 Antje Dorn / VG Bild-Kunst, Bonn [all rights reserved] | ||||||||||||||||||||||
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Zeichnungen (Auswahl) aus der Serie "Rare Animals and Numbers", 29,7 x 42 Zentimeter, Tusche auf Papier, 2006 Drawings from the series "Rare Animals and Numbers", 29.7 x 42 Centimeters, ink on paper, 2006 |
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Installationsansicht von Zeichnungen der Serie / installation view of drawings from the series „Rare Animals And Numbers“, Tusche und Kohle auf Papier / charcoal and ink on paper, je 220x296 cm, 2006 in der Ausstellung / in the exhibition "Antje Dorn. Stuff “, Museum Folkwang, Essen 2011 Photo: Antje Dorn |
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Zeichnungen der Serie / drawings of the series "Rare Animals and Numbers" (Details), Galerie Michael Sturm, Stuttgart 2012 Ausstellungsphotos: Frank Kleinbach |
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Andreas Steffens Zeichen auf der Suche nach ihrem (Anders-) Sein Eine Annäherung an Antje Dorns >Rare Animals and Numbers< Zur Eröffnung der Ausstellung in der ‚zone-b’, Berlin, 12.09.2008 Es ist Ei, noch zeigts Kuchen Gertrude Stein, Zarte Knöpfe (1914), Ffm1979; 1991, 67 In einem kurzen eigenen Text, >In the street<, mit dem Antje Dorn ihre bildnerische Arbeit charakterisiert, zitiert sie Gertrude Stein: Der Geist des Menschen ist interessant und das Universum. Der Geist des Menschen hüpft nicht herum aber er fliegt herum und ist allein wie das Universum. Alles was herumfliegt ist interessant (Gertrude Stein, Die geographische Geschichte von Amerika oder Die Beziehung zwischen der menschlichen Natur und dem Geist des Menschen (1936), Ffm 1988, 113 f.). Diesem Wink möchte ich in einem kurzen theoretischen Versuch einer Annäherung an Antje Dorns >Rare Animals and Numbers<, die ab heute hier zu sehen sind, folgen. Gertrude Stein der bekannteste Satz dieses Urgesteins der literarischen Avantgarde lautet: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Diese dreifache Tautologie ist eine der entschiedensten Absagen des modernen Denkens an eine Wesensmetaphysik der Dinge, die wissen wollte, was die Dinge &’ ihrer Erscheinung sind, als welche sie Teil der Menschenwelt sind. In dieser Absage klingt die viel ältere Einsicht des Mystikers Angelus Silesius nach: Die Ros’ ist ohn’ Warum. Sie bildet den Grund-Satz einer bescheidenen Ontologie, die darauf verzichtet, die Dinge und Erscheinungen der Welt der Kausalitäts-Sucht des Menschen zu unterwerfen, alles auf ‚Gründe’ zurückzuführen. Denn das ist nicht nur anmassend, sondern auch gefährlich: Wer immer zu den Gründen gehe, der gehe schliesslich zugrunde, sollte denn auch Friedrich Nietzsche finden. Zuletzt führt jedes noch so intensive Nachdenken über die metaphysische Grundfrage, wie Leibniz sie formulierte, warum etwas sei, und nicht vielmehr nichts, immer wieder zu deren Unbeantwortbarkeit: das Sein dessen, dem wir in unserer Welt begegnen, ist hinzunehmen, und, soweit es unseren Vermögen zugänglich ist, zu gestalten. Beide Sätze, Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose und Die Ros’ ist ohn’ Warum, sind Plädoyers dafür, die Dinge sein zu lassen, was sie sind, ohne dieses Sein bestimmen zu wollen: die Achtung der Dinge ist gleichbedeutend mit dem Verzicht auf ihre Unterwerfung unter die Herrschaft einer Ordnung des Denkens. Nun liegt es jedoch in den Lebensbedingungen des Menschen, die Dinge der Welt, in der er sich findet, nicht einfach sein lassen zu können, sondern sie auch für die Zwecke seiner Lebensbehauptung nutzen zu müssen. Kehrseite einer metaphysischen Achtung der Dinge ist ihre anthropologische Funktionalität. Was immer sie sein mögen, für uns sind sie bedeutsam dadurch, und soweit, wie sie uns dabei dienlich sein können, zu leben. Ein Widerspruch liegt darin nur, wenn man, wie in der vergangenen Industriekultur Europas und Nordamerikas allerdings exzessiv geschehen, die menschliche Funktionalität der Weltgegebenheiten für deren Bestimmung hält und diese nur darin sehen will. Dass die Dinge zu mehr, vielleicht sogar zu anderem gebraucht werden können, als dem entspricht, was sie sind, was immer es sein mag, ist die Voraussetzung für eine der bedeutendsten Kulturleistungen: die Erfindung und Nutzung von Zeichen. Buchstabe und Zahl legten die Grundlage für die Aussprache der menschlichen Bedürfnisse an die Welt und für eine diese Bedürfnisse gewährleistenden Ordnung der Welt für den Menschen. Aus Antje Dorns eingangs zitiertem Text erfährt man, dass ihr künstlerisches ‚Thema’ die Beziehung von ‚Zeichen und Dingen’ ist: Die Zeichen werden zu Dingen und die Dinge zu Zeichen, schreibt sie. Auf die Spur dieser doppelten Ver-Wandlung begibt sie sich mit ihrer Bild-Kunst. Damit wird ihr bildnerischer Einsatz zu einer ästhetisch-experimentellen Semiotik, zu einer Erforschung jener elementaren Zeichenstruktur unserer Zivilisation, wie Max Bense sie zuerst beschrieben hat (Max Bense, Ästhetik und Zivilisation, aesthetica III, Krefeld-Baden-Baden 1958; ders., Semiotik. Allgemeine Theorie der Zeichen, Baden-Baden 1967; ders., Zeichen und Design. Semiotische Ästhetik, Baden-Baden 1971). Nun sind Zeichen, gemessen an dem eingangs entwickelten Gebot einer metaphysisch bescheidenen Achtung für das Eigensein der Dinge, nicht harmlos: denn ihre Funktion besteht ja gerade darin, den Verzicht, oder die Unmöglichkeit, zu überbrücken, Dinge als das zu erkennen, was sie sind, indem ihnen eine Bedeutung zugewiesen wird, die sie ausschließlich in den Zusammenhängen der menschlichen Beziehungen haben sollen: Zeichen verfügen über Dinge zum Zweck ihrer zivilisatorischen Nutzung. Sie definieren ein eigentlich unbekanntes Sein für unsere Bedürfnisse. Damit erbringen sie die unablässig zu wiederholende Grundleistung jeder Kultur, die Nachlässigkeit der Natur zu kompensieren, die es versäumte, dem Menschen eine Lebensform vorzugeben. Deshalb müssen wir uns ständig mit dem Problem der ‚Wirklichkeit’ herumschlagen, in der wir uns selbstverständlich bewegen, ohne sie wirklich zu kennen. Inzwischen zeigt sich deutlicher, dass zu den fortwirkenden Erbschaften des vergangenen Jahrhunderts das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit gehört. Es gibt keine Wirklichkeit mehr für ein Leben in einer wirklichen Vorstellung, schrieb Gertrude Stein (a.a.O., 31), um sie auch meinerseits zu zitieren, und den von Antje Dorn ausgelegten Motivfaden noch etwas fortzuspinnen. An die Stelle der Wirklichkeit als der grossen, unergründlichen Unbekannten trat ein Symbolsystem, das unser Existieren in einer Lebenswelt, die uns mit Selbstverständlichkeit und mit Verlässlichkeit umgibt, orientiert. Wir müssen nicht mehr wissen, was etwas ist und brauchen unsere Erkenntnisbemühungen nicht mehr darauf zu richten - , wenn wir wissen, welches Zeichen für welche Sache, welches Symbol für welchen Sachverhalt steht. In seiner >Ästhetik des Verschwindens< hat Paul Virilio das Fazit gezogen: Die Welt ist Illusion und die Kunst die Darstellung der Illusion der Welt (Paul Virilio, Ästhetik des Verschwindens (1980), Berlin 1986, 40). Denn die Welt ist zerfallen in ein lockeres Gefüge von Lebenswelten und Milieus. Zur Basistechnik des Lebens in ihnen wurde die Fähigkeit, die Zeichen, die sie strukturieren, zu lesen und zu codieren. So sehr, dass Italo Calvino in seinem Ausblick auf unser nun begonnenes 21. Jahrhundert in einer ‚Pädagogik der Einbildungskraft’ die wichtigste kulturelle Aufgabe der Zukunft sah (Italo Calvino, Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend (1988), München-Wien 1991, 128). Unsere Zivilisation ist damit selbst ästhetisch geworden. Für die Künste ergibt sich daraus die Problematik, keiner objektiven Welt mehr gegenüberzustehen, die in Bildern repräsentiert werden will, sondern einer bereits als System von Bildern organisierten Welt der Symbole. Mit der elektronischen Bildzivilisation erreicht der Kulturprozess des ‚animal symbolicum’, der mit der Erfindung der Schrift und der Zahlen begann, seinen vorläufigen Höhepunkt. Und in dieser Schnittstelle genau, liegt der Einsatzpunkt der Bildkunst Antje Dorns, wenn ich mich nicht sehr täusche. Zur Verdeutlichung nehme ich noch ein letztes Mal Zuflucht bei Gertrude Stein: Nur der Geist des Menschen weiß dies und das ist der Grund warum er nicht das ist was jeder sagt sondern das was jeder schreibt das hat etwas zu tun mit dem was es mit dem Geist des Menschen auf sich hat. Das eben macht den comic strip aus (Stein, a.a.O., 39). Der comic strip, diese uramerikanische Form der Bildgeschichte, die für die Generation der zwischen 1950 und 1970 in Deutschland Geborenen zur selbstverständlichen kulturellen Grundausstattung werden sollte, gehört zur bildnerischen Grundausrüstung, mit der Antje Dorn ihre zeichnerische Versuchsanordnung zur Erkundung des geheimen Lebens der Zeichen ausgestattet hat. Aneinandergereiht, und mit erläuternden Sprachelementen versehen, eignen Bilder sich dazu, Geschichten zu erzählen, weil in jedem Bild unausgesprochene Geschichten stecken. Deshalb ist es ein literarischer Reiz, das Verhältnis von Sprache und Bild im Comic umzukehren, und die vom Bild ausgelösten Assoziationsketten zu einer geschriebenen Erzählung zu verdichten, wie es etwa Italo Calvino mit seiner Tarotkarten-Erzählung >Das Schloss, darin sich Schicksale kreuzen< tat. Welche Dimension ein derartiges ästhetisches Spiel tatsächlich besitzt, wird deutlich, sobald man sich vergegenwärtigt, dass die europäische Bild- Kultur auf dem umgekehrten Vorgang beruht: ihre Basis ist die Bebilderung einer durch Schrift, die Schrift, überlieferten Geschichte, der Verbildlichung des christlichen Heilsmythos. Auf dieses Spannungsfeld der in den Bildern geborgenen Geschichten begibt auch Antje Dorn sich, indem sie die alte Kunst des Zeichnens, die der sensomotorischen Ausstattung des Menschen und seiner konstitutiven Bevorzugung der Hand in allen Lebenslagen am unmittelbarsten entspricht, als eine Erforschung der Zeichen betreibt. Denn Zeichen sind komprimierte Bilder. Mit einer eindeutigen und unverrückbaren Bedeutung ausgestattet, verweigern sie sich jedoch dem Spiel der Assoziationen, die die Bilder bergen und auslösen können. Als die komprimierteste Form des Bildes, die es gibt, erzählt ein Zeichen dagegen immer nur eine einzige Geschichte, und diese immer wieder. Genau hier setzt Antje Dorns zeichnerische Semiotik an. Sie löst gleichsam die Bindung des Zeichens, und lässt seine Bildelemente frei, die beginnen, sich assoziativ im Raum neu zu bilden, zu formieren und zu verteilen, Beziehungen suchend und eingehend, die ihre Funktion, aus der sie sich derart befreit finden, nicht kennt. Alles kann zum Zeichen werden, indem es für etwas anderes steht, sofern die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem klar definiert ist und der Beziehung eine eindeutige Bedeutung zugewiesen ist, die nicht variiert. Durch Wiederholung und Penetranz des Gebrauchs lässt sich unter diesen beiden Voraussetzungen jedes Zeichen einführen und zu selbstverständlichem zivilisatorischen Gebrauch führen. An die Stelle der Schriftzeichen die Zahlen, jene anderen Urzeichen unserer Zivilisation, setzend, kündigt Antje Dorn diese Determination, und versetzt sie in der Begegnung mit den Figuren ihrer Pseudo-Comics in einen Taumel möglicher Bezüge und Beziehungen, einen Taumel, der die Zahlen so weit fortzureissen scheint, als vergäßen sie ihre festgelegte Gestalt und begönnen, das Begehren auszubilden, selbst zu Figuren zu werden. Damit unterwirft Antje Dorns künstlerische Semiotik die Grundelemente unserer Zivilisation dem menschlichen Urvermögen der Einbildungskraft, dem Vermögen, sich etwas anders vorzustellen, als es ‚ist’. Auf ihm beruht unsere Zivilisation wie jede menschliche Leistung sonst, will es aber immer weniger wahrhaben. Weil das eine sehr ernste Sache ist, derer Antje Dorns Phantasie sich damit annimmt, kann sie so heiter ausfallen, kann sie die Komik auf die Verzweiflung des Eingeschlossenen, der das Sesam-Öffne-Dich nicht kennt, ebenso zurückführen, wie sie überwinden, als wäre Charlie Chaplin geradewegs aus dem absurden Räderwerk einer zum Selbstzweck gewordenen Technik in den nachpostmodernen Bilderdschungel gefallen. Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang da sei die Theorie, die beide zu verbinden sucht, eher kurz als lang, weshalb ich die meine für diese Kunst an dieser Stelle zwar nicht ende, aber abbreche. Copyright by Andreas Steffens, Wuppertal 2008 |
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Installationsansicht der Serie / Installation view of the series "Rare Animals and Numbers" (Detail), Galerie zone B, Berlin 2008 Photo: Antje Dorn |
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Nr.5 aus der Serie / from the series "Rare Animals and Numbers", 220x296 cm, Kohle auf Papier / charcoal on paper, 2006 |
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Antje Dorn - RARE ANIMALS AND NUMBERS |
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